Für die Biobranche ist 2021 ein besonderes Jahr mit einer eindrücklichen Vielzahl von Jubiläen. Allen voran feiert mit der Bio Suisse der wichtigste Schweizer Dachverband der Bioszene sein 40-jähriges Bestehen. Eine schöne Anzahl an «Bionier»-Unternehmen der Verarbeitungs-und Handelsstufe feiern runde Jahrestage. Ende Jahr werden es 30 Jahre seit der Einführung der ersten EU-Bioverordnung her sein. Der rechtliche Basisstandard hat sich seither stetig weiterentwickelt. Ausgehend von einheitlichen Grundsätzen für die Bioproduktion regelt die EU-Bioverordnung die Bestimmungen von Feld und Stall bis in die Verkaufsregale und Esstische. Das Bioregelwerk bildet bis heute den wichtigsten Orientierungsstandard für die Schweizer Bio-Verordnung und viele weitere rechtliche Grundlagen, die sich heute weltweit etabliert haben. Die heute weltweit verlässlich etablierten Zertifizierungsprozesse bauen auf diesem rechtlich verbindlichen Regelwerk auf.
Zur mittlerweile bald ein Jahrhundert zurückreichenden Geschichte der Biolandwirtschaft bestehen bereits zahlreiche historische Werke. Für die historische Aufarbeitung entlang der Wertschöpfungskette von Verarbeitung, Gross- und Detailhandel bis zur Gastronomie ist die Dokumentationslage bisher noch weniger ausgeprägt. Ein wesentlicher Grund dafür: In den Anfangsjahrzehnten der Biobewegung erfolgte die Bioverarbeitung und-vermarktung weitgehend im Rahmen der Direktvermarktung der wenigen Biohöfe. Eigenständige Verarbeitungs- und Handelsstrukturen entstanden aus kleinen Anfängen im Verlauf der Nachkriegszeit. Der Einstieg der Grossverteiler in den 1990er-Jahren führte einerseits zum Wachstum dieser Pionierunternehmen, während «Bio» darüber hinaus Schritt für Schritt in den «konventionellen» Verarbeitungs-und Handelskanälen und damit im Verkaufskorb weiter Teile der Gesellschaft Fuss fasste.
Persönlich konnte ich seit Ende der 80er-Jahre die Entwicklung der Biobranche im Rahmen meines eigenen beruflichen Werdegangs als gelernter Bäcker-Konditor und aktiver Biobäcker in eigener Erfahrung miterleben. Nach dem Studium zum Lebensmittel-Ingenieur in Wädenswil konnte ich am Aufbau der Biozertifizierungsabläufe im Verarbeitungs- und Handelsbereich mitwirken. Heute begleite ich auf selbständigberatender Basis Unternehmen und Gremien bei Fragestellungen rund um Bio- und Labelanforderungen und mit Blick auf gesamtheitliche Nachhaltigkeitszielsetzungen.
Im Verlauf des Jahres gehen wir mit der Serie «Dossier Bio-Zukunft» auf verschiedene Aspekte dieser Entwicklung ein. Wir lassen «Bioniere» ebenso zu Wort kommen, wie innovative Kräfte, welche heute die Zukunft der Bio- und Lebensmittelbranche mitprägen. Die Biobranche hat wichtige Impulse für die Ernährungswirtschaft geliefert. Gleichzeitig stehen alle Akteure der Branche heute vor gemeinsamen Nachhaltigkeits-Herausforderungen. «Bio» kann dazu viele erprobte Lösungen bieten, muss jedoch für Innovationen offen bleiben und das Erreichte selbstkritisch analysieren und optimieren.
Wie die historischen Jahrestage zeigen: In vielen Unternehmen der Biobranche ist ein Generationenwechsel erfolgt, derzeit im Gang oder dieser steht zeitnah bevor. Auch für diese Prozesse möchten wir mit der Dossier-Serie eine Orientierungshilfe bieten.
- In dieser Rubrik äussern sich Vertreter aus Lebensmittelindustrie und Branchenverbänden zu aktuellen Themen. Für einmal nutzen wir das Format zur Lancierung unserer Dossier-Serie «Bio-Zukunft». Beiträge aus der Bio- und Lebensmittel-Branche sind ausdrücklich willkommen